Von Walrossmenschen und iranischen Vampirmädchen
Wochenenden des Wahnsinns: Gestern und Vorgestern machte die zweitägige Pre-Festival-Tour des Fantasy Filmfests Station im Hamburger Savoy Filmtheater und präsentierte bereits zum 13. Mal cineastisches Grauen aus aller Welt.
Immer im Frühjahr regt das Fantasy Filmfest mit seinen "Nights" den Genre-Appetit wagemutiger Kinogänger an. Nach Köln, Stuttgart, Berlin, Hamburg und Nürnberg lässt es das 10 Filme umfassende Wochenendprogramm am 28. und 29. März noch einmal in Frankfurt und München krachen. Hier fünf Highlights, die man nicht auf der großen Leinwand verpassen sollte...
"Cub" (Belgien, 2014)
In Hamburg eröffneten die "FFF Nights" mit dem Regiedebüt des Belgiers Jonas Govaerts. In seinem Backwood-Slasher mit "Goonies"-Touch fährt eine bunt zusammengewürfelte Pfadfindertruppe zum
Zelten in den Wald, wo Spukgeschichten zufolge ein Monsterjunge sein Unwesen treibt. Anfänglicher Humor macht Platz für packenden Survival-Horror, als immer deutlicher wird, dass der titelgebende
Welpe des Schreckens nicht nur real, sondern die Vorhut einer noch größeren Bedrohung ist. Die überraschend schonungslose Kiddie-Antwort auf "Severance" punktet mit einem grandiosen
Setdesign, das mit einigen spektakulären Fallenkonstruktionen auftrumpft, und erscheint am 24. April unter dem Titel "Camp Evil" auf Blu-ray und DVD.
"German Angst" (Deutschland, 2015)
In Anwesenheit der drei Regisseure Jörg Buttgereit, Michael Kosakowski und Andreas Marshall wurde das Hamburger Publikum Zeuge, dass Phantastik Made in Germany nicht der expressionistischen
Vergangenheit vorbehalten sein muss. Ihr lobenswertes und mittels Crowdfunding finanziertes Anthologie-Projekt umfasst drei verstörende Kurzfilme, deren Qualität
allerdings gehörige Schwankungen aufweist. Sehenswert ist auf jeden Fall die experimentell angehauchte Auftaktsepisode "Final Girl", in der "Nekromantik"-Ikone Buttgereit mit grobkörniger
und unmittelbarer Kamera nicht nur die brutale Selbstbefreiung eines jungen Mädchens schildert, sondern auch den klaustrophobischen Mief hinter deutschen Spießbürgermauern einfängt. Anstrengend
hysterisch und unnötig plakativ geht es dagegen in Kosakowskis "Make a Wish" zu, in dem mit einem magischen Talisman eine bemühte Storyverbindung zwischen historischem und
Neo-Naziterror hergestellt wird. Als unbestrittenes Highlight erweist sich die elegant inszenierte Finalepisode "Alraune" von "Tears of Kali"-Regisseur Marshall, in der ein Fotograf in eine
mysteriöse Parallelwelt sexueller Wunsch- und Albträume abtaucht – berauschend, abgründig und monströs. Am 15. Mai veröffentlicht Pierrot le fou "German Angst" uncut auf Blu-ray und DVD.
"Wyrmwood: Road of the Dead" (Australien, 2014)
Zum Abschluss des ersten Tages zeigte ein australisches Brüderpaar eindrucksvoll, dass das Sujet des Zombiefilms noch immer nicht ausgelutscht ist. Im entfesselten Regiedebüt von Kiah und
Tristan Roache-Turner macht sich ein Mechaniker mit zwei weiteren Überlebenden der Zombiekalypse in einem umgebauten "Mad Max"-Truck auf, seine verschwundene Schwester aus den Fängen eines
perversen Wissenschaftlers zu retten. Mit trockenem Humor, starken Effekten und kinetisch inszenierter Horror-Action umschifft das Funsplatter-Spektakel souverän trashige
Untiefen und sorgt mit comichaft stilisierten Genre-Innovationen für mitreißende Kurzweil. Im August wird "Wyrmwood" bei Tiberius Film seine lohnenswerte Heimkinopremiere feiern.
"A Girl Walks Home Alone at Night" (USA, 2014)
Tag 2 der Hamburger "FFF Nights" wartete mit dem insgeheimen Highlight des Wochenendes auf. Im auf Farsi und in Schwarzweiß gedrehten Spielfilmdebüt der iranisch-stämmigen Regisseurin Ana Lily
Amirpour kreuzen sich in der fiktiven Welt einer muslimischen US-Kleinstadt die Wege eines schicksalsgebeutelten Kleinkriminellen und eines mit Kopftuch und Skateboard bewaffneten
Vampirmädchens auf ewigem Beutezug. Unterlegt mit einem grandios kompilierten Soundtrack entfaltet sich ein bezaubernder Reigen aus Gangsterfilm-, Horror-, Western- und Romanzen-Motiven, der mit
seinem traumwandlerischen Erzähltempo endlich mal wieder beweist, wieviel Magie und Aussagekraft Filmbilder entfalten können, wenn man ihnen die Zeit dazu lässt. Ein phantastisches Beispiel
für phantastisches Arthouse-Kino, das bei uns ab dem 23. April regulär im Kino läuft.
"Tusk" (USA, 2014)
Als Abschlussfilm sorgte der erste reinrassige Genre-Ausflug von "Clerks"-Mastermind Kevin Smith für offene Münder im Kinosaal. Die Geschichte eines zynischen Podcast-Moderators, der auf der Suche nach berichtenswerten Sonderlingen in die Fänge eines greisen Wahnsinnigen gerät, der seine Opfer in Reinkarnationen seines geliebten Walrosses Mr. Tusk umoperiert, präsentiert sich als durchgeknallter Mix aus trashiger Farce und überraschend wirkungsvollen Horrormomenten. Und die sorgen dafür, dass einem das Lachen immer wieder im Halse stecken bleibt. Kurz gesagt: "Human Centipede" mit gewohnt smarten Smith-Dialogen, einem schön schrägen Johnny-Depp-Cameo und reichlich Augenzwinkern. Wer übrigens hören will, wie sich der Regisseur und seine Hauptdarsteller beim Durchsprechen des bizarren Finales vor Lachen bepissen, sollte den Abspann über sitzen bleiben. "Tusk" erscheint am 7. Mai auf DVD.